Jeden Sonntag werden unzählige Predigten in unzähligen Kirchen gehalten. Warum passt gerade Deine zum Sommer? Zu dieser Zeit? Zu dieser Gemeinde? Das Predigtnachgespräch zielt genau auf diese Besonderheit der Predigt ab. Was macht die Predigt von Pastorin Pauline Chanda einzigartig? – Lesen Sie dazu das Predigtnachgespräch.

Die Predigt von Pauline Chanda wurde zum Sommerhit „Die perfekte Welle“ – von Juli am 24.08.2025 gehalten.

Liebe Gemeinde!

Sie lässt sich Zeit. Rollt langsam heran, wächst und schillert dabei in Grün- und Blautönen. Wenn sie am schönsten aussieht, bricht die Welle in sich zusammen. Tosend, gekrönt von weißem Schaum. Es ist dieser eine Moment, auf den ein Surfer geduldig wartet. Stundenlang harrt er, auf seinem schmalen Brett sitzend, in den Ozeanen aus. Er lässt sich treiben.[1]

Wie für jede Sportarten braucht man zum Surfen natürlich körperliche Fitness. Aber das allein reicht nicht. Ein Surfer braucht vor allem auch eines: Geduld! „Bei Flaute bleibt ihm nichts anderes übrig, als abzuwarten. 50%, so vermuten Experten, verbringen Surfer mit Paddeln, 45% mit Warten und lediglich 5% mit dem eigentlichen Ziel ihres Tuns, dem Wellenreiten.“[2]

Wie ist das in meinem Leben? Wäre doch spannend, einmal aufzudröseln, wie viel Prozent meiner Lebenszeit ich mit Warten verbringe. Und ich meine damit nicht nur das Sitzen auf unbequemen Plastikstühlen in irgendeiner Praxis trotz Termin! Wie lange habe ich darauf gewartet, dass mein sehnlichster Wunsch in Erfüllung ging? Darauf, dass ich auf eigenen Beinen stehen kann?  Auf den Menschen an meiner Seite? Auf Gesundheit? Auf eine passende Arbeitsstelle? Auf ein Leben ohne Mauer? Auf Frieden nach Krieg?

Warten kann beschwerlich, ja unerträglich lang sein. Zum Verzweifeln. Kräftezehrend. Lähmend. Hoffnung und Träume können zerplatzen. Das tut weh. Manchmal warten wir vergeblich. Nicht aufzugeben, ist die Kunst.

Warten ist ein häufiges Motiv in der Bibel und hat eine tiefe, religiöse Bedeutung. Abraham und Sara warten ihr Leben lang auf ein Kind. Das Volk Israel wartet auf Erlösung, darauf aus der Knechtschaft befreit zu werden, um dann 40 Wüstenjahre lang auf das gelobte Land zu warten. Im babylonischen Exil warten die Verschleppten auf ihre Heimkehr. Gläubige warten auf die Erfüllung von Verheißungen. Das jüdische Volk wartet auf den Messias, den Erlöser – wir Christ*innen auf die Wiederkunft Christi. Überall auf der Welt warten Menschen auf Gottes Antwort. Warten ist ein essenzieller Teil des Glaubens. Es ist nicht nur ein passives Abwarten, sondern ein aktives Ausharren im Glauben.

Die Beziehung der Wellenreiter ist dauerhaft. Surfen ist für sie kein Sport, sondern eine Lebenseinstellung.[3]

45% Warten für 5% dieser ganz besonderen, unbezahlbaren Lebensmomente.

Jetzt kommt sie langsam auf dich zu, das Wasser schlägt dir ins Gesicht, siehst dein Leben wie ein Film, du kannst nicht glauben, dass sie bricht.“ Mit hoher Geschwindigkeit schießt der Surfer plötzlich durch die Gischt in einen meterhohen Wassertunnel. Ein Gefühl von Freiheit und Unbeschwertheit. Er tanzt mit dem Element, dessen Macht er nicht fürchtet, sondern begehrt.[4] Er zögert nicht, ergreift sofort die Chance. Er nimmt den Moment und genießt ihn – lässt sich davon tragen.

Dabei geht es gar nicht um „die perfekte Welle“. Eine geeignete reicht. Es geht immer besser, höher, weiter. Die Naturgewalt lässt sich zwar bezwingen, jedoch nicht kontrollieren. Die Welle ist nie gleich, sie kommt immer anders. Nur eines ist beim Surfen beständig: die Leidenschaft.[5]

Das Warten hat sich gelohnt. Mein Leben erscheint mir wie ein Film: Manche Sequenzen verstehe ich jetzt erst im Zusammenhang und Rückblick. Der geeignete Moment wird kommen. Und wenn er dann erstmal da ist – etwas ganz Besonderes! Dann fühle ich mich plötzlich ganz leicht und schwebe einfach davon! Ich surfe auf der Welle dieses Moments – mag er auch noch so kurz sein – er gibt mir neuen Antrieb.

5%, die mein Leben neu freisetzen!

Wenn wir früher als Kinder zuhause im Sommer täglich am Strand waren, dann begleiteten uns die feinen Körnchen zwischen unseren Zehen noch bis nach Hause. Manchmal war unser ganzes Haus dann voller Sand, den wir nicht sahen, aber mit unseren nackten Füßen auf den Holzdielen spürten. Das ist ein bleibendes Sommergefühl für mich! Oder der Geruch des reifen Pfirsichbaumes in der Sonne.

Souvenirs, die wir von fremden Orten oder aus fernen Ländern mitbringen, sind nichts anderes: Erinnerungen. Sie erinnern uns an die besonderen Erlebnisse einer Reise – und können uns für Momente dorthin zurück entführen. Wir zehren davon, über den Sommer hinaus. In Flaute und Kältezeiten können wir sie in die Hand nehmen und betrachten, dem Erlebten nachspüren. Oder um es mit dem Schriftsteller Alfred Polgar zu sagen: Lebenskünstler ist, wer seinen Sommer so erlebt, dass er ihm noch den Winter wärmt. Einfach so leidenschaftlich gerne surfen, dass man stundenlang ausharren kann.

Warten als Lebens- und Glaubenseinstellung. Aus meinen positiven Erlebnissen heraus bin ich neugierig, was mir noch alles Wunderbares bevorstehen wird. Was alles einmal sein wird. Ich will mich im Warten üben. Nicht zu schnell leben, um den richtigen Moment nicht zu verpassen und dann loslassen, mich hingeben zu können. Ihn zu genießen.

Ich darf mich immer wieder überraschen lassen – es gibt mehr als ich weiß, mehr als ich sehe. Ich glaube an das, was ich nicht sehe. Ich vertraue auf Gott und lasse mich von ihm durchs Leben tragen. Ich nutze und genieße die Zeit, die mir geschenkt ist. Ich bin hier, ich bin frei! 5%, die mein Leben immer wieder neu freisetzen!

Amen

[1] Vgl. Artikel aus der Welt, vom 18.06.2010: https://www.welt.de/lifestyle/article8097943/Surfen-Warten-auf-die-perfekte-Welle.html, abgerufen im August 2025.

[2] Ebd.

[3] Vgl. ebd.

[4] Vgl. ebd.

[5] Vgl. ebd.

Bibel und Kopfhörer
Predigtnachgespräch

Du sprichst davon, dass eins der wesentlichen Momente beim Surfen das Warten ist. Das leuchtet mir ein. Ohne zu warten könnte ich vermutlich nicht den richtigen Moment abpassen. Gibt es gerade in der Gesellschaft Momente, in denen Warten gerade gut wäre? Oder brauchen wir da gerade eher das Gegenteil?

Ich glaube, die Fähigkeit warten zu können, tut unserer Gesellschaft grundsätzlich gut – sei es im Straßenverkehr oder der Supermarktschlange. Für mich ist es eine positive Ohnmachtserfahrung, im Alltag zu merken, dass ich nicht alles selbst kontrollieren kann. Warten kann eine intensive Erfahrung sein, wenn ich sie zur Reflexion nutze. Und gleichzeitig ist es nicht gut – für eine Einzelperson wie für eine Gesellschaft, wenn sie sich allein im Warten verliert und ausharrt, es sich darin zu gemütlich macht und träge wird. Sich zurücklehnen und auf Veränderung zu warten, immer andere machen lassen, kann eine Gesellschaft gefährden und lähmen. Wir sind handelnde Wesen, uns ist nicht umsonst eine große Freiheit und Verantwortung geschenkt.

Und was ist das Religiöse am Warten?

 Dass ich die Dinge aus der Hand gebe und auf mich zukommen lasse. Die Erfahrung, dass ich in einem größeren Zusammenhang stehe, über den ich nicht allein verfüge. Und dabei mit meinem Innersten und mit meiner Quelle, dem Ursprung allen Seins, Gott, in Verbindung zu treten und Vertrauen in IHN und das Gute zu entwickeln. Das sind für mich Transzendenz-Momente, die mein rein irdisches Dasein überschreiten.

 Du sagst in der Predigt: „Warten ist ein essenzieller Teil des Glaubens.“ Muss das so sein? Könnte Gott nicht auch so handeln, dass wir weniger warten müssten?

 Könnte er. Aber würden wir dann noch die Grenzen unseres Seins spüren? Würden wir dann nicht leicht überheblich werden und uns selbst für Gott halten? Wären wir dann überhaupt noch kreativ? Oder nicht vielmehr Getriebene vom reibungslos funktionierenden Alltagsgeschäft? Würde ohne jegliche Momente des Anhaltens und Innehaltens das Leben dann nicht einfach an uns vorbeirauschen? Ich möchte so einen Gott aus der Maschine nicht.

 Die Welle ist natürlich ein eindrucksvolles sprachliches Bild. Glaubst Du, dass Gott auch in dem Bild Platz hat? Kann Gott vielleicht wie eine Welle sein, die auf uns hereinbricht? Oder wird damit das Bild überspannt oder gesprengt?

 Ja, ich glaube, dass Gott wie eine Welle in unser Leben hereinbrechen kann. Ich höre immer wieder faszinierende Geschichten, wie Gott in das Leben von Menschen kommt, wie Menschen zum Glauben kommen. Das sind oft sehr kraftvoll empfundene, entscheidende Lebensmomente. Und einmal von Gott, vom Glauben mitgerissen, können wir hoch hinaus, uns tragen und antreiben lassen. Das hat die Kraft unser Leben zu verändern – und kann dann auch wieder Wellen schlagen und andere mitreißen. Und gleichzeitig glaube ich auch, dass unser Glaube wellenartig sein kann. Es mag Zeiten geben, Flauten, in denen wir uns Gott nicht nahe fühlen, in denen wir ihn suchen und es uns schwerfällt, zu glauben. Und dann, manchmal ganz plötzlich, können wir von ihm überrascht und berührt werden, wieder zu ihm finden.

 Du berichtest von den Sandkörnern zwischen den Zehen, die wir bis nach Hause tragen. Es sind also Erfahrungen, die lange Bestand haben und uns begleiten. Sind das für Dich auch Erfahrungen der Gottesnähe? 

 Erfahrungen der Gottesnähe in meinem persönlichen Leben sind Erfahrungen für mich, die Bestand haben und mich begleiten, die mein Leben prägen. Sie haben mich so tief in meinem Innersten berührt, dass sie ein Teil von mir geworden sind, an mir haften, wie einst die Sandkörnchen an meinen Kinderfüßen. Sie wärmen mich in kalten Zeiten meines Lebens.

 Du sagst, dass der Surfer tanzt, er tanzt „mit dem Element, dessen Macht er nicht fürchtet, sondern begehrt“. Diese unkontrollierbaren Seiten meines Lebens sind wirklich spannend. Sie aber nicht zu fürchten, sondern zu begehren stelle ich mir schwer vor. Gerade in Zeiten, wo soviel Unsicherheit herrscht. Ist für Dich der Glaube eine Hilfe mit solchen Unsicherheiten umzugehen?

 Absolut. Mein Glaube festigt mein Leben. Aus dem tiefen Vertrauen heraus, dass Gott es gut mit mir und der Welt meint, und an meiner Seite ist, schöpfe ich Kraft, auch schwierige und unsichere Zeiten zu durchstehen. Weil ich mein Leben als Geschenk begreife und mir so viel Segen und Gutes widerfahren ist und täglich widerfährt, kann ich voller Dank und Hoffnung in die Zukunft blicken und neugierig erwarten, was da noch alles kommt.

 Wie können wir als Kirchengemeinden Bargteheide und Eichede für die wartenden Menschen da sein? Wie können wir sie vielleicht im Warten tragen und ermutigen?

 Als christliche Gemeinschaft sind wir gemeinsam auf dem Weg. Auch wenn jede und jeder ganz individuelle Wartezeiten erlebt, kann das Gefühl der Gemeinschaft uns in diesen stärken und wärmen. Dafür müssen wir als Gemeinden Räume schaffen, in denen Menschen das immer wieder erfahren können. Wir sollten Menschen mit ihren ganz persönlichen Lebenssituationen im Blick haben und ernst nehmen. Und natürlich dürfen wir nicht mit dem Evangelium sparen!

 Muss ich mich überraschen lassen können, um mich frei zu fühlen? Wie bei dem Songtext von Juli „ich bin hier, ich bin frei!“ Das klingt danach als müsste ich die Kontrolle abgeben. Wie meinst Du das?

 Von müssen rede ich hier nicht. Sondern von der Chance. Davon, wie gut es tun kann, das mal zu machen, zu wagen. Es kann mich entlasten und befreien. Dabei kann neue Energie freigesetzt werden. Und keine Sorge, es gibt dann immer noch genug Prozente im Leben, in denen es geplant und kontrolliert abläuft.

Vielen Dank für das Gespräch!

Ein Beitrag von: Pauline Chanda und Simon Jungnickel

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